Armut in der Türkei – sind alle Türken wirklich arm?



Ich habe mich vor zwei Tagen, am 1. Februar 2021, mit unseren Bauersfrauen in der Straße unterhalten. Es ging auch ums Essen und was man kocht und wie man es kocht. Ich bekam sehr viele interessante Vorschläge. Nur hat keine erzählt, dass sie nur Wasser und Brot kochen. Im Gegenteil. Die Bauern hier haben, sollte der Notstand ausbrechen, genug von allem, was gekocht werden kann. 

Ganz viele Bauern, die noch in ihren alten Häusern leben und nach außen hin ein sehr einfaches Leben führen, besitzen sehr oft tausende Quadratmeter an landwirtschaftlichen Flächen in TL-Millionenhöhe – nur sieht man sie eben nicht, wenn man nicht weiß wo sie liegen. Zu denken, dass ein Bauer oder jemand, der ganz einfach lebt und nicht herumprotzen will, immer arm sein muss, ist falsch. 

Natürlich wird am Land anders gekocht, doch sehr lecker. Wenn ich mich mit Hausfrauen unterhalte, die nicht vom Land kommen, wird wieder anders gekocht, die meisten schrecken aber nicht vor den hohen Fleischpreisen zurück. Selbst in wirklich niedrig verdienenden Haushalten, in denen ich schon zu Gast war, gabs nicht nur Wasser und Brot. im Gegensatz zu uns Deutschen, weiß man hier noch mit vielem, was in der Natur kostenlos wächst, etwas anzufangen und es lassen sich ganz leckere Dinge daraus zaubern.  

Wenn man in deutschen Zeitungen so quer liest, geht es immer wieder über die Armut, die die Türken gerade ereilt. Ich schreibe jetzt nicht von den Residenten, die sich hier mit ihren Eurorenten aus Europa ​einen schönen Lenz machen und zum Teil noch immer glauben und herumerzählen, dass nur sie diejenigen sind, die in Luxus schwelgen können und ein Haus mit Pool kaufen können - und der Rest der Türken sitzt am Estrich ihrer alten Hütte und tunkt das Brot in eine Wassersuppe.

Wer so denkt, hat erstens die Welt überhaupt nicht verstanden, lebt in seiner eigenen Blase und weigert sich offensichtlich, zuzugeben, dass er oder sie falsch liegt ​– warum? Weil die deutsche Presse ihnen sogar in der Türkei das Hirn herausoperiert hat. Sie müssten sich nur mehr umsehen, ein paar Brocken der Sprache können und unter die Leute gehen – unter einheimische Türken, nicht unter Deutsche oder ausgewanderte Türken

 Fakten die man kennen sollte

1. Es gibt in JEDEM Staat auf der Welt Arme oder Obdachlose, natürlich auch in der Türkei ​– wäre das nicht so, würde wohl jeder aus Afrika in dieses Wunderland kommen. Es gibt weltweit Arme, sogar in Europa und explizit Rentner in Deutschland, deren Euros dort nicht mehr reichen und sie sammeln Pfandflaschen oder suchen in Containern von Supermärkten nach Essen – trotz sozialem Netz. Das kann man nachlesen – ich denke, das weiß mittlerweile jeder und niemand wird es abstreiten. Die Türkei ist nicht Afrika – doch das denken sogar Menschen, die nur deutsche Zeitungen in der Türkei lesen und ihre Weisheiten zum Besten geben. Nein - die Türkei ist der Staat mit dem höchsten Budget für Hilfsgüter weltweit und hilft viel in Afrika. Das kann man allerdings nur wissen, wenn man sich die Mühe macht, es im Netz zu recherchieren - möglichst aber nicht in der deutschen Hetzpresse. 

2. Es gibt in jedem Land Reiche, auch in der Türkei und nicht zu knapp, wenn man weiß, wie sie heißen, wo sie in der Forbesliste stehen und wodurch sie ihr Geld verdienen – die Hochnäsigkeit der Deutschen, immer zu glauben, sie hätten im Vergleich zur Türkei den Reichtum erfunden, geht mir unendlich auf den Geist – aber nicht nur mir. 

Hier die 10 reichsten Frauen der Türkei: 

https://nex24.news/2020/05/top-10-die-reichsten-frauen-der-tuerkei/

3. Es gibt in jedem Land im Moment durch die Pandemie mehr Arbeitslose, auch in der Türkei. Was die meisten nicht wissen ​– auch Bürger in der Türkei haben die Möglichkeit Arbeitslosengeld zu erhalten (wenn die Voraussetzungen stimmen) – Voraussetzungen muss man auch in Deutschland erfüllen, um berechtigt zu sein. Es gibt in der Türkei ebenfalls kostenlose Krankenversicherung für Bedürftige und kleine finanzielle Hilfen, wenn man kein Einkommen hat, auch Heizmaterial für den Winter. Der rote Mond (Kizilay), das Gegenstück zu unserem roten Kreuz, verschenkt zu Feiertagen an bedürftige Familien Esspakete, die Lkw-weise in der ganzen Türkei verteilt werden.

Genau wie in anderen Ländern gibt es auch Menschen, die sich mit 10 oder mehr Kindern durchschlagen müssen, der Vater Gelegenheitsverdiener ist. Dass es hier keine Arbeit gibt, ist ein Gerücht. Der Mindestlohn ist wesentlich höher als in Deutschland. Es ist gesetzlich verboten, unangemeldet zu arbeiten – viele tun es trotzdem, weil die Arbeitgeber sie nicht anmelden wollen. 

Auch hier gilt, genau wie in Deutschland ​– wer eine Schule besucht hat, selbst wenn sie staatlich ist, der kann sich kaum herausreden, keine Arbeit zu finden – manchmal ist ein Umzug nötig, wer nicht kann, lässt die Familie am Dorf und geht zum Arbeiten in die Stadt oder an die Küste im Sommer, um Geld nach Hause zu schicken.

4. Die Arbeitslosenzahlen in der Türkei waren immer hoch, solange ich die letzten 30 Jahre zurückdenken kann ​– warum? Weil früher die Mehrheit nicht angemeldet gearbeitet hat und das heute zwar weniger wird, aber immer noch Mode ist, obwohl verboten. Natürlich wird ein Schwarzarbeiter nicht zu den Arbeitenden gezählt. Er wird das auch kaum verraten.

Dementsprechend fehlen dem Staat Steuern, die vor vielen Jahren ganz fehlten, weil keiner Steuern bezahlt hat – heute tun das nur noch bestimmte Leute und das sind die, die noch nicht begriffen haben, dass man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten als Bürger hat, wenn man ständig vom Staat etwas fordert. Bekommt man es nicht, ist die Regierung automatisch böse und dann stimmen sie die Jammer-Lieder von arm und nichts zu essen an, Wirtschaft kaputt usw. Diese Menschen träumen meistens auch von einem EU-Beitritt, aber sind sich gar nicht bewusst, dass sie hier ohne die EU wesentlich besser leben. Weil sie ständig von Euro in Lira und wieder zurück rechnen – im Grunde aber keine Ahnung haben, dass sie ihre gesamten Kosten dann in Euro bestreiten müssen und die Beträge automatisch als Euro schrumpfen. 

5. Wir haben ein völlig anderes Familienverständnis in Deutschland. Es ist kaum denkbar, dass jemand, der Erwachsen ist und im Falle von Verarmung bei seinen Verwandten anklopft, aufgenommen wird, wenn er keine Ansprüche auf soziale Leistungen vom Staat in Anspruch nehmen möchte. Dann wird ihm in Deutschland erzählt, wo er hingehen muss, um seine Miete und Hartz IV zu kriegen, aber bitte – wohn doch nicht bei uns, du bekommst es doch vom Staat. 

Das ist in der Türkei anders – dort wird ein Sozialfall unter normalen Umständen so lange in der Familie wohnen bleiben, bis er sich finanziell selbst helfen kann. Eltern, die nur Mindestrente beziehen (mind. 1600 Lira), wohnen meistens bei den erwachsenen Kindern - das kann sich ein Deutscher nicht gut vorstellen. 

6. Es gibt in der Türkei bei den meisten genau dasselbe Jammer-Gen wie bei uns Deutschen. Es wird über die Gesundheit gejammert, über das Wetter, über den Staat und vor allem über Geld. Egal ob man es hat oder nicht. Meine Erfahrung hier in der Türkei – sage nie jemandem, was du hast, sonst stehen die fremden Bittsteller vor deiner Tür Schlange. Das sind die, die immer Geld brauchen, keinen Kredit von der Bank bekommen und sich ihr Leben lang überall Geld zusammenleihen, ohne es jemals wieder zurückzuzahlen. Sogenannte "Lebenskünstler", die sich ihre Opfer genau aussuchen – die gibt es auch in Deutschland, nicht nur in der Türkei. Nur nicht so offensichtlich. Diese sind auch ein Leben lang, immer benachteiligt worden, wenn man sie hört. 

Fazit: 

Wer wirklich Arbeit will, findet auch was ​– doch viele stehen auf dem Standpunkt: Wenn es nur 1000 Lira im Monat sind, dann arbeite ich lieber gar nicht (so ist das zumindest in unserer Region). Das musste ich schon oft hören. Was macht derjenige dann – lebt bei Familie oder versucht, sich Geld zu leihen – will es zurückgeben, wenn er Arbeit gefunden hat, die ihm gefällt und gut bezahlt ist.

Nur ist es in der Türkei nicht anders als anderswo auch: Wer eine gute Schulausbildung hat, hat den guten Job, wer nur Grundschule hat, wie es früher üblich war und dann arbeiten gehen musste, der hat das zu nehmen, was er findet. 

Die Zeiten sind zum Glück vorbei, weil auch in der Türkei kein Kind mehr nach der fünften Klasse aus der Schule geht. Es sind noch die um die 50-jährigen, die das System erlebten und die noch auf den billigen Plätzen arbeiten, wenn sie sich später nicht selbst weiterbilden konnten und die jetzt alle langsam in Rente gehen. Das sind noch die Schüler, die im alten System vor 2002 zur Schule gehen mussten. 

Wer hier in der Türkei nicht jammert, was das Zeug hält, dass er kein Geld hat, der hat viele Freunde ​– meistens die falschen. So sieht es aus. Das haben wir von Anfang an gemerkt.

Wer seine monatlichen Kosten bestreiten kann und am Monatsende nichts zurücklegen kann ist auch nicht automatisch arm.

Natürlich gibt es arme Leute in der Türkei ​– wie zum Beispiel die alte Fatma bei uns in der Stadt war – welches Schicksal sie hatte, konnten wir nicht erfahren. Nur dass sie wohl Kinder in Deutschland hatte, ein bisschen Deutsch kann und allein in der Türkei war. Sie hatte keine Wohnung und wohnte bereits Jahrzehnte in einem Bretterverschlag neben einer Bank und bekam ihr Essen von einem Hotel nebenan geschenkt. Sie bettelte uns generell um 10 Lira an, wartete nie, bis sie freiwillig etwas bekam – wozu? Um sich Schnaps zu kaufen und Bier. Das wusste ich lange nicht und kaufte ihr immer im Laden nebenan ein oder zwei Brote. Der Besitzer sagte mir beim wiederholten Einkauf – kauf ihr kein Brot, sie schmeißt es weg. Sie bekommt ihr Essen jeden Tag und so viel sie will vom Hotel dort und gib ihr bitte auch kein Geld, denn sie liegt sonst den ganzen Tag sturzbesoffen auf dem Gehweg herum. Seit ca. drei Jahren ist sie nicht mehr da… 

Das war die einzige in unserer 60 000 Einwohnerstadt, die auf der Straße lebte und trotzdem ein hohes Alter ohne Hunger mit Hotelessen hatte. Denn das ist der Unterschied zu Deutschland - hier kümmert man sich noch umeinander! Menschen in der Türkei, auch ohne Dach über dem Kopf, werden trotzdem gesehen, geachtet und verpflegt. Es ist mir auch bewusst, dass es in großen Städten wie Istanbul, Izmir oder Ankara mehr davon gibt. Doch die gibt es in Berlin oder München auch. 

Ich habe schon vor längerer Zeit einmal einen Vergleich gebracht, wer besser lebt ​– der Deutsche in Deutschland oder der Türke in der Türkei – aber die Unbelehrbaren glauben das trotzdem nicht – obwohl Deutsch und in der Türkei wohnhaft. Was habe ich damals hören müssen, wie falsch meine Rechnung doch ist! Das heißt aber für mich und viele, die meine Rechnung verstanden haben, dass es wohl immer noch eine Anzahl von Deutschen gibt, die bis heute noch nicht wissen, was KAUFKRAFT heißt.

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