15.Juli 2016 - Jahre nach dem Putschversuch in der Türkei kommt alles wieder hoch

Jedes Jahr an diesem Datum wird die Erinnerung in jedem von uns wieder wach. Es wird durch den Feiertag nie mehr vergessen werden. Auch Deutsche, die in dieser Nacht in der Türkei waren, erzählen sich gegenseitig von diesem erschreckenden Ereignis. Vor allem jene, die türkische Partner haben, Kinder, türkische Schwiegereltern, Schwager, Schwägerinnen und die über die Jahre sehr mit der Türkei verwachsen sind, erleben diese Nacht jedes Jahr immer wieder neu. Es wird von neuem erzählt, was jeder von ihnen gefühlt, gedacht, gehört, gelesen, im Fernsehen gesehen oder selbst erlebt hat.



Es ist für uns in der Türkei völlig anders, auch für jeden einzelnen Bürger - je nachdem wo er genau war. Es ist nicht wie eine übliche schlechte Erinnerung, von der man nur noch Bruchstücke weiß, es ist, als würde man, wenn man die vielen Bilder und Videos im Netz sieht, mit der Zeitmaschine wieder in das Jahr 2016 zurückreisen und alles von damals genau so neu erleben und die Haare stehen mit Sicherheit bei jedem Video von damals jedem türkischen Bürger, ihren Verwandten im Ausland und allen , die damals hier waren, wieder zu Berge… 

Jemand, der in dieser Nacht nicht in der Türkei war, kann trotzdem nicht ahnen, was die Istanbuler und Ankaraner empfunden haben, als sie von von den Putschisten mit F16 Militärmaschinen bombardiert wurden. Sie wissen nicht im geringsten, was auch diejenigen fühlten, die viel weiter weg von Istanbul und Ankara leben, so wie wir an der Westküste. Sie können nicht nachvollziehen, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gingen, als sie gebannt auf den Fernseher sahen und langsam registrierten, dass ein Putschversuch im Gange war. Vor allem jene, die bereits einen Putsch hinter sich hatten, wie mein Mann Ende 70er/Anfang 80er in der Jugendzeit. 

Aber alle wussten früher oder später, dass man durch einen abtrünnigen Teil der türkischen Armee die aktuelle Regierung stürzen wollte, ausradieren, erschießen wollte und dass es ein Blutbad türkeiweit geben könnte, wenn der Putschversuch wieder gelingen würde.

Ich kann mich genau erinnern, ich hatten den Fernseher aus, in Facebook hatte jemand aus Istanbul ein live Video hochgeladen und schrieb drarunter: ''Leute, die Brücke in Istanbul ist gesperrt, da ist Militär... das ist nicht normal, das sieht aus wie ein Putsch''… Man sah einen Soldaten, der die Passanten nicht über die Brücke ließ und Straßensperren.. Zuerst dachte ich na ja, Facebook… 





Als ich es meinem Mann erzählte, sagte er nur: "Schnell, mach den Fernseher an". Ja, es ging jedem von uns ähnlich - was man hier auf allen Kanälen sah, so ca. ab 23 Uhr, ließ jedem das Blut in den Adern gefrieren. Keiner wusste, was genau vorging, man sah Panzer, Soldaten in Kampfanzügen in Istanbuls Straßen und in Ankara. 

In Facebook liefen die Chats zwischen uns heiß, jeder hatte einen anderen Kanal im türkischen TV laufen und wir schickten uns ratlos Nachrichten hin und her. Für einige Freunde, die gerade im Urlaub in unserer Region waren, machte ich Fotos von den aktuellen Fernsehbildern, um sie zu informieren, weil sie nichts verstehen konnten, was im Moment passiert. Dass geputscht wird, das hatten wir schon begriffen. 

Was man aber im deutschen Fernsehen zu sehen bekam, wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht, aber ich hatte alles sofort über Freunde in Facebook erfahren und wie dreist in Deutschland die Medien logen.

Zurück am Laptop dachte ich, mein Verstand setzt aus. Eine mir persönlich bekannte Türkin, die mit ihrem englischen Ehemann ein oder zwei Jahre vorher aus Großbritannien hierhergezogen war, schrieb auf ihrem Facebookprofil in türkischer Sprache so etwas wie '' los ihr Soldaten Atatürks, weiter so ...macht weiter '' Ich war so angeekelt davon, dass ich ihre Seite danach nie wieder besucht habe. Ich weiß nicht, was sie dachte, aber eins war klar – sie war für den Putsch, den Sturz der Regierung und dafür dass viele Menschen ihr Leben verlieren.

Aus Deutschland bekam ich von einer lieben deutschen Bekannten, die hier seit Jahren in der Türkei lebt und ihre Kinder besuchte, eine Facebook Message, dass in Deutschland in den Nachrichten kam, unser Präsident hatte das Land verlassen und um Asyl in Deutschland gebeten und das Militär hatte die Regierung schon übernommen, ob das denn wahr wäre. Eine Freundin in der Türkei gleich um die Ecke meinte, sie kann das nicht glauben, sie hat gehört, der Präsident sei in Marmaris, gleich um die Ecke bei uns…  Gleich darauf schickte mir eine andere Freundin aus Facebook einen Zeitungsausschnitt im Screenshot von N24, auf dem zu lesen stand: Putsch in der Türkei, das Militär hat die Regierung übernommen und wir schüttelten nur noch den Kopf, denn es war erstunken und erlogen. Ich konnte der Freundin in Deutschland dazu nur so viel sagen, dass ich das nicht glaube, weil man ihn soeben im Fernsehen sah, wie der Präsident via Handy über Videochat mit der Moderatorin von Habertürk sprach und man sagte und auch am Hintergrund sehen konnte, dass er im Flugzeug auf dem Weg nach Istanbul war…

Dieser Film mit Ausschnitten aus dem deutschen und zum direkten Vergleich aus dem türkischen Livestream zeigt eine Nacht, in der, wenn der Putsch geglückt wäre, alles aus den Fugen geraten wäre und wie unehrlich die deutschen Medien waren. 




Ich kann mich noch erinnern, als wäre es vor einer Stunde passiert. Jemand aus meinem deutschen Freundeskreis in der Türkei - sie wohnt Luftlinie vielleicht 10 Kilometer entfernt und damals mit Blick auf die Start und Landebahn des Flughafens in Dalaman, schrieb mich an und wir tauschten uns aus. Denn um ca. halb ein Uhr nachts ratterte knapp über meinem Dach im schwarzen Nachthimmel ein Helikopter. richtig laut. So laut, dass ich dachte, er steht schon im Garten und ich ging auf die Terrasse, um nachzusehen. Es war stockdunkel, man konnte auch keine Sterne sehen und ich dachte, seltsam, man müsste doch wie üblich die Positionslichter sehen, aber nichts, auch die Straßenlampen waren alle rundherum aus. Allerdings passiert das schon einmal und ich habe mir nichts dabei gedacht. Es war nichts zu sehen, nicht einmal der sonst übliche Lichtschein vom Flughafen, der Luftlinie 10 km entfernt lag. Aber das Geräusch war ohrenbetäubend laut. 

Meine Freundin, die vom Berg aus direkt hinunter zum Dalaman-Flughafen sehen konnte, sagte mir gleich nach meinem Bericht über das Helikopter-Geräusch, dass es bei ihr auch unheimlich wäre, denn sowohl der Militärflughafen als auch der normale Flughafen sei stockdunkel, kein einziges Licht, auch die Start- und Landebahn wäre in der Finsternis nicht zu sehen. Keine von uns kam im Moment darauf, überhaupt einen Zusammenhang zwischen den Nachrichten, dem unsichtbaren Helikopter über meinem Dach und dem abgedunkelten Flughafen Dalaman zu suchen. Wir sind es schon seit wir hier leben, gewöhnt, dass Militärhubschrauber über unsere Region fliegen und selbst wenn heute eine Drohne wie die Akinci oder Bayraktar Kreise auf Sichtweite zieht, sind wir nicht beunruhigt. Es kam uns diesmal seltsam vor. 

Es schien ihr, als wäre der Flughafen nicht mehr da und das bereits seit einer vollen Stunde … Dort wartete - späteren türkischen TV Berichten zufolge,  eine Regierungsmaschine auf den Präsidenten und seine Familie. Er war nicht in Deutschland auf Asylsuche, sondern in Marmaris im Urlaub und nicht auf der Flucht im Ausland.




Viel später wurde erst nach den Ermittlungen berichtet, dass der Pilot der Regierungsmaschine, der den Präsidenten von Dalaman nach Istanbul brachte, auch ein Putschist und von der Gülen Bewegung war. Er hat sich wohl dann überlegt, seinen Befehl nicht auszuführen und hat ihn sicher nach Istanbul gebracht: 





Bis wir neue Berichte aus den türkischen Medien erhielten, die uns bewusst machten, wie nahe wir beide hier mitten im gruseligen Geschehen waren, regten wir uns nur über die deutschen Medien auf, die solche, wie wir heute wissen, bewussten Falschmeldungen offiziell bekannt gaben - denn die Meldung über die Soldaten, die den Präsidenten samt Familie in Marmaris im Hotel erschießen sollten und dass nach jüngsten Erkenntnissen der Helikopter, der den Präsidenten vorher noch in Sicherheit brachte, von den Attentätern verfolgt wurde, die kam erst um einiges später. 

Die Attentäter kamen zu spät dorthin und der Präsident war bereits mit seiner Familie in nur 15 Meter Höhe (unter dem Radar hindurch) von Marmaris bis nach Dalaman in einem Helikopter geflogen worden - ohne Beleuchtung genau über mein Hausdach in Richtung Dalaman zum Flughafen. Dort stieg er um in eine Maschine, die lt. türkischen Medien ebenfalls unbeleuchtet aus dem stockdunklen Flughafen startete und sich auf einen gefährlichen Flug bis Istanbul begab. Die Maschine wurde von einer F16 verfolgt, die ihn abschießen sollte, aber mangels Treibstoff kehrt machen musste. Von diesem Flugzeug aus, wandte sich Präsident Erdoğan über Handy an die Bevölkerung, auf die Straßen zu gehen, um die Putschisten aufzuhalten… Diese Momente vergisst keiner von uns, egal wo er war, denn jeder von uns hatte nur einen Gedanken – hoffentlich wird alles gut. 


Dieses Video wurde nach dem Putschversuch zum Gedenken an alle die Helden gemacht, die ihr Leben in der Putschnacht für ihr Land verloren haben und wir alle , die es gesehen haben, hatten Traenen in den Augen... 









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